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Krebserkrankung und COVID-19 – was Tumorpatienten wissen sollten
Die Angst vor einer möglichen Corona-Infektion darf die lebensnotwendige, unmittelbare und qualitätsgerechte Behandlung einer Krebserkrankung nicht verzögern oder gar verhindern. Wir haben mit dem Onkologen Priv.-Doz. Dr. med. Peter Reichardt, Chefarzt für Onkologie und Palliativmedizin im Helios Klinikum Buch, zu einer neuen deutschlandweiten Studie gesprochen, deren Autor er ist.
“Kein Krebspatient und keine Krebspatientin, egal welchen Alters, sollte länger auf seine Diagnose oder Therapie warten“
Haben Corona-Lockdowns, wie wir sie aktuell erleben, Einfluss auf onkologische Behandlungen?
Die Helios Studie stellt bei fast allen Krebsarten einen Rückgang der Fallzahlen während des Lockdowns im Frühjahr und Frühsommer 2020 fest. Vor allem bei Patientinnen und Patienten, die über 75 Jahre alt sind, wurden durchschnittlich 20 Prozent weniger Behandlungen durchgeführt. Dies ist besonders bedenklich, weil wir davon ausgehen müssen, dass durch nicht zeitgerecht eingeleitete Untersuchungen und Behandlungen gravierende Nachteile für Patienten entstehen. Gerade bei Krebs ist es entscheidend, so früh wie möglich mit einer geeigneten Therapie zu beginnen, um die Überlebenschancen so hoch wie möglich zu halten.
Welche Ursachen sind bekannt?
Die genauen Gründe für den Rückgang müssen erst noch anhand weiterer Erhebungen analysiert werden. Wahrscheinlich ist, dass viele Patientinnen und Patienten aus Angst vor Ansteckung mit dem Corona-Virus den Arztbesuch gemieden haben. Auch die vorübergehende Schließung oder eingeschränkte Sprechzeiten von Arztpraxen können dazu geführt haben. Um mögliche gesundheitliche Folgen durch spätere Diagnosen und Therapiebeginne zu erkennen, bedarf es weiterer Studien.
Sind Patienten mit Blut- und Krebserkrankungen anfälliger und gefährdeter für das Virus SARS-CoV-2?
Nicht automatisch. Das kommt auf die Erkrankung und die laufende Therapie an. Das konkrete individuelle Risiko hängt dabei von vielen Faktoren ab. Grundsätzlich gelten für Krebspatienten die allgemeinen Sicherheitsempfehlungen, wie für jeden anderen Menschen in Coronazeiten auch. Patienten, die besonders gefährdet sind, klären wir Onkologen über spezielle Maßnahmen ausführlich auf. Wie differenziert das Vorgehen bei Krebspatienten sein muss, zeigen aktuelle Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie e.V. (DGHO). Ständige Fort- und Weiterbildung ist für alle Ärzte und das Pflegepersonal zu allen Zeiten Pflicht. Aber besonders jetzt ist nationaler und internationaler Erfahrungsaustausch wichtig.
Gibt es konkrete Empfehlungen für Krebspatienten bzw. für Ärzte und Pflegepersonal auf Krebsstationen, mit dem Virus SARS-CoV-2 umzugehen?
Es gelten in Arztpraxen und Krankenhäusern die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI), an die wir uns strikt halten. Patienten mit Blut- und Krebserkrankungen gehören wie viele andere Erkrankte zu einer besonderen Risikogruppe für Infekte. Wichtigste Maßnahmen gegen eine Infektion sind immer hygienische Händedesinfektion, Einhalten von Abstand zu anderen Personen und Eingrenzung sozialer Kontakte. Patienten mit besonderen Krebstherapien empfehlen wir eine ganz besondere Vorsicht – auch im häuslichen Umfeld. Das betrifft die gesamte Zeit der Versorgungskette von der Diagnostik über alle Formen der Therapie bis hin zur Rehabilitation und Nachsorge.
Geben Sie uns bitte Ihr Fazit?
Kein Krebspatient und keine Krebspatientin, egal welchen Alters, sollte länger auf seine Diagnose oder Therapie warten. Der gesamte diagnostische und therapeutische Verlauf einer Krebsbehandlung muss für jeden Betroffenen in vollem Umfang gewährleistet sein. Das gilt für stationäre und ambulante Behandlungen gleichermaßen. Nicht dringende, planbare gesundheitliche Maßnahmen kann man zeitlich verschieben – der Fachbegriff dafür ist „elektiv“. Aber Krebsbehandlungen jeglicher Art gehören nicht dazu! Diese erfordern immer unmittelbare Maßnahmen, um Überlebenschancen zu erhöhen.
Quelle: PM des Helios-Klinikums Buch vom 03. 02. 2021
Digitaler Angriff gegen Krebs
Im Berliner Institut für Gesundheitsforschung / Berlin Institute of Health (BIH) arbeiten mehrere Arbeitsgruppen daran, dem Krebs digital die Stirn zu bieten. Dabei geht es vor allem darum, bereits vorhandene Informationen zusammenzuführen und gemeinsam auszuwerten. Denn bei 500.000 Neuerkrankungen jedes Jahr allein in Deutschland würde es sich lohnen, die Erfahrungen mit verschiedenen Diagnose- und Behandlungsverfahren miteinander zu vergleichen und die vielversprechendsten Ansätze mehr Patient*innen zugute kommen zu lassen. Darüber hinaus hilft der „Digital Health Accelerator“ des BIH Innovator*innen von der Charité – Universitätsmedizin Berlin und vom Max-Delbrück-Centrum dabei, ihre digitalen Ideen für die Krebsmedizin rasch zu den Patient*innen zu bringen.
„Wir begrüßen die Initiative des Bundesforschungsministeriums, die Dekade gegen den Krebs auszurufen“, sagt Professsor Axel Radlach Pries, Dekan der Charité – Universitätsmedizin und Interims-Vorstandsvorsitzender des BIH. „Um den Krebs zu bekämpfen, setzen wir hier im BIH ganz bewusst auf die Digitalisierung: Wir gewinnen zwar jedes Jahr mehr Erkenntnisse über den Krebs, doch um sie auszuwerten und sie tatsächlich in die klinische Anwendung zu überführen, benötigen wir Spezialisten für KI, IT und Datenmanagement. Wir haben deshalb mehrere Forscherinnen und Forscher aus diesem Bereich ans BIH berufen und unterstützen damit die Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen an der Charité und am MDC.“
Riesiger Erfahrungsschatz muss gehoben werden
„Wir haben einen riesigen Erfahrungsschatz in Deutschland in der Behandlung von Krebspatienten“, sagt Professorin Sylvia Thun, Direktorin der Core Unit eHealth & Interoperabilität am BIH, gefördert durch die Stiftung Charité. „Wir müssen ihn nur heben!“ Doch das ist nicht so einfach. Die Daten der Patient*innen, die Auskunft über ihre Diagnosen, Behandlungen und ihren Krankheitsverlauf geben, werden in jedem Krankenhaus anders erfasst. Sie sind unterschiedlich formuliert und in verschiedenen Softwaresystemen, wenn nicht gar auf Papier gespeichert. „Deshalb ist es nicht möglich, zum Beispiel die Daten aller Brustkrebspatientinnen oder aller Prostatakrebspatienten miteinander zu vergleichen“, beklagt Sylvia Thun.
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Daten aus Krankenversorgung und Forschung verbinden
Professor Roland Eils ist Gründungsdirektor des BIH Zentrums Digitale Gesundheit und koordiniert das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Medizininformatik-Konsortium HiGHmed. Das Konsortium verbindet medizinische Fakultäten und Universitätsklinika sowie Unternehmen aus der Medizintechnik und Informationstechnologie aus ganz Deutschland. Eils´ Anliegen ist es, die Daten aus der Krankenversorgung mit Daten aus der biomedizinischen Grundlagenforschung zu verbinden. Die Fortschritte in der Forschung erlauben es mittlerweile, einzelne Zellen im Körper zu verfolgen und zu analysieren. So erhalten die Wissenschaftler*innen und Ärzt*innen Informationen über das Krankheitsgeschehen in nie dagewesener Detailtiefe. Doch diese riesigen Datenmengen, die allein bei der Genomsequenzierung von Krebspatienten entstehen, müssen digital ausgewertet und mit den Daten aus der Krankenversorgung zusammengebracht werden, bevor sie für eine personalisierte Therapie genutzt werden können.