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Ausstellung würdigt Wissenschafts-Pionierinnen
Die Wanderausstellung „Berlin – Hauptstadt der Wissenschaftlerinnen“ stellt insgesamt 22 außergewöhnliche Forscherinnen vor, die Berlin als Stadt und Wissenschaftsstandort geprägt haben und heute noch prägen. Es sind Pionierinnen ihres Faches und Wegbereiterinnen für künftige Generationen von Wissenschaftlerinnen: von Agnes Harnack, die sich im Jahr 1908 als erste Studentin der Stadt offiziell immatrikulieren durfte, über Marlis Dürkop-Leptihn, die nach 118 männlichen Vorgängern im Jahr 1992 zur ersten Präsidentin der Berliner Humboldt-Universität gewählt wurde, bis zur Chemie-Nobelpreisträgerin des Jahres 2020, Emmanuelle Charpentier.
Die Inhalte können alle Interessierten auf deutsch in der Mediathek der BIH-Website abrufen. Beschäftigte des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) sowie Besucher*innen des Gläsernen Labors haben außerdem vom 24. Januar bis zum 9. März 2022 die Chance, sich die Ausstellung vor Ort im Foyer des MDC.C anzuschauen. Leider ist aufgrund der Omikron-Welle kein weiterer Besuchsbetrieb möglich.
„Die Welt der Wissenschaft gehört Euch“
Die Ausstellung ist eine Initiative des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller, und des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH). Um Wissenschaftlerinnen in der öffentlichen Wahrnehmung mehr Sichtbarkeit zu geben, haben BIH-Expertinnen gemeinsam mit engagierten Bürgerinnen und Bürgern in sogenannten Edit-a-thons neue Wikipedia-Einträge von Berliner Hochschullehrerinnen und Forscherinnen erstellt oder bestehende Einträge überarbeitet.
Zur Vernissage am 19. Oktober im Roten Rathaus sagte Müller: „Viele großartige Wissenschaftlerinnen haben Berlin über Jahrzehnte zu der führenden Innovationsmetropole gemacht, die sie heute ist. Wir wollen nicht nur informieren, sondern besonders die kommenden Generationen inspirieren und jeder Schülerin und jungen Frau zurufen: Die Welt der Wissenschaft gehört Euch!“ Auch zwei Wissenschaftlerinnen, die auf dem Campus Berlin-Buch wirkten, sind auf den Tafeln der Ausstellung gewürdigt: Dr. Cécile Vogt und Dr. Gudrun Erzgräber.
Dr. Cécile Vogt und Dr. Gudrun Erzgräber
Cécile Vogt (1875-1962) war promovierte Neurologin und gilt gemeinsam mit ihrem Ehemann Oskar Vogt als eine der Begründerinnen der modernen Hirnforschung. Sie leistete herausragende Arbeit am Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung, das 1929 in Buch einen modernen Forschungsbau in Buch bekam. Ihre bahnbrechenden Arbeiten trugen zur Aufklärung des Gehirnaufbaus bei, außerdem erforschte sie Erkrankungen des Nervensystems. Nach Angaben der Nobelstiftung war Vogt die erste Frau, die für einen Nobelpreis in Medizin oder Physiologie nominiert war, insgesamt 13-mal zwischen 1922 und 1953. 1932 nahm sie die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina zusammen mit Oskar Vogt als Mitglied auf, eine hohe Auszeichnung in Deutschland.
Gudrun Erzgräber (*1939) ist Kernphysikerin. Sie promovierte am Zentralinstitut für Molekularbiologie der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin-Buch, lebte und arbeitete etliche Jahre in der Sowjetunion. Mitte der 1980er Jahre kehrte sie nach Buch zurück und begann eine Karriere als Wissenschaftsmanagerin, 1992 am Campus Berlin-Buch. Hier war sie maßgeblich an der Entwicklung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) beteiligt. Sie warb 66 Millionen Euro an Fördermitteln von Bund, Land und EU für die Entwicklung des Wissenschafts- und Technologiestandorts Buch ein und baute mit großem Engagement den Biotechnologiepark auf. Unter ihrer Leitung entstand zudem das Gläserne Labor. Das Land Berlin und die Bundesrepublik Deutschland haben Gudrun Erzgräber für ihre herausragenden Leistungen jeweils mit einem Verdienstorden geehrt. Über die Ausstellung freut sie sich: „Ich denke, das ist das auch ein kleines Element dafür, dass Frauen mehr in die Wissenschaft gehen, mehr in Führungspositionen gehen, in Vorstände, in Aufsichtsräte.“
Text: Christine Minkewitz
BIH/Hauptstadt der Wissenschaftlerinnen
Quelle: MDC/News vom 21.01.2022
Corona-Warnung aus der Kläranlage
Um die Verteilung der Virusvarianten im Abwasser – und damit in der Bevölkerung – zu ermitteln, haben Forschende des MDC mit Unterstützung der Berliner Wasserbetriebe ein computerbasiertes Werkzeug entwickelt. Auch andere Wissenschaftler*innen können damit nun arbeiten.
Wer sich mit Corona ansteckt, scheidet das Erbgut der Viren unweigerlich aus. Unabhängig davon, ob Symptome da sind oder nicht, und auch nicht nur mit der Atemluft oder dem Speichel: Im Stuhlgang infizierter Menschen ist die RNA von SARS-CoV-2 ebenfalls zu finden. Und von der Toilette aus gelangt sie mit dem Abwasser zügig in die Kläranlage.
Im Februar 2021 begannen mehrere Teams des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC), im Berliner Abwasser nach dem Erbgut des Coronavirus zu suchen. Sie sequenzierten es, interpretierten die erhaltenen Daten und visualisierten die Ergebnisse in anschaulichen Grafiken. Das Resultat der gemeinsamen Arbeit haben Vic-Fabienne Schumann und Dr. Rafael Cuadrat von der Technologie-Plattform „Bioinformatics and Omics Data Science“ von Dr. Altuna Akalin, der das Projekt koordiniert hat, jetzt gemeinsam mit ihren Kolleg*innen veröffentlicht. Das am MDC entwickelte Tool ist dadurch auch anderen Wissenschaftler*innen, die mit ihm arbeiten wollen, zugänglich.
Realistische Inzidenzen
Die trübe Flüssigkeit der Berliner Kanalisation zu nutzen, um schnelle und detaillierte Informationen zur Verbreitung des Coronavirus in der Hauptstadt zu erhalten, war die Idee von Professor Nikolaus Rajewsky. Der Direktor des Berliner Instituts für Medizinische Systembiologie (BIMSB) des MDC nahm vergangenes Jahr Kontakt zu den Berliner Wasserbetrieben auf, die ihr Abwasser gerne zu Forschungszwecken zur Verfügung stellten.
Auf der Preprint-Platform „medRxiv“ stellen die Forscher*innen um Akalin, der Letztautor der Studie ist, das Werkzeug namens „PiGx SARS-CoV-2“ nun detailliert vor. „Es handelt sich um ein computergestütztes Tool, mit dem wir die Infektionsdynamik und die zirkulierenden Varianten von SARS-CoV-2 zeitgleich an verschiedenen Standorten grafisch darstellen können“, erläutert Schumann. „Das Wichtigste, was man in diese End-to-End-Pipeline einspeisen muss, sind die Resultate der RNA-Sequenzierungen aus dem Abwasser, die Informationen über die zu untersuchenden Varianten und ein paar Nebeninformationen zu den Daten.“
Die Ergebnisse, die „PiGx SARS-CoV-2“ in Grafiken präsentiert, sind zum einen unabhängig von der Zahl der Coronatests und der symptomatischen Krankheitsverläufe. Zum anderen können sie der Frühwarnung dienen: „Sie sagen verlässlich vorher, ob die Inzidenz in den kommenden Tagen zu- oder abnehmen wird“, sagt Schumann.
Neue Varianten frühzeitig entdecken
Um ihre Pipeline zu prüfen, analysierten die Forscher*innen von Februar bis Juni 2021 insgesamt 38 Abwasserproben aus vier Berliner Klärwerken. „Wir konnten mit unserem Werkzeug die Dynamik der besorgniserregenden Alpha-Variante rekonstruieren und haben zudem die charakteristische Mutation der Delta-Variante und deren Anstieg Anfang Juni entdeckt“, berichtet Schumann. „Somit haben wir gezeigt, dass die Pipeline funktioniert.“
Für die Abwasser-Sequenzierungen am MDC ist insbesondere die BIMSB-Arbeitsgruppe „RNA Biologie und Posttranscriptionale Regulation“ von Professor Markus Landthaler verantwortlich. „Der große Vorteil unserer computergestützten Methoden besteht darin, dass wir zeitgleich nach allen bekannten Variationen des Virus suchen und neue Mutationen womöglich früher als bisher erkennen können“, erläutert Dr. Emanuel Wyler, Postdoktorand in der AG Landthaler. „Mithilfe der von uns entwickelten mathematischen Modelle lassen sich bedenkliche Varianten wie Omikron vielleicht sogar aufspüren, bevor sie klinisch relevant werden.“
Auf der Suche nach Omikron
Nach der neuen Omikron-Variante werden die MDC-Forscher*innen ebenfalls im Abwasser fahnden. Man sei gerade dabei, das Erbgut dieser Viren auch anhand von Proben erkrankter Menschen zu sequenzieren, sagt Schumann. Mithilfe dieser Ergebnisse will das Team die gezielte Suche im Abwasser verfeinern und Anfang 2022 starten, die Infektionsdynamik nachzuvollziehen. „Denn noch ist umstritten, wie gut sich völlig neue Virusvarianten mit unseren Methoden aufspüren lassen“, erklärt die Forscherin: „Bislang ist nicht ganz klar, ob die Viren-RNA im Abwasser ähnlich vollständig ist wie im Blut von Patientinnen und Patienten.“
Derzeit sind die Untersuchungen des Abwassers in Deutschland jedenfalls nicht als Teil eines Corona-Frühwarnsystems etabliert – weder für bekannte noch für ganz neue Virusvarianten. „Andere Länder, beispielsweise Schweden, die Niederlande und Italien, sind da sehr viel weiter“, sagt Schumann. „Vielleicht hilft unser Tool aber dabei, die Situation auch hierzulande zu verändern.“
Text: Anke Brodmerkel
Hinweis: Es handelt sich um ein Manuskript, das auf einem Preprint-Server der Wissenschaft zur Verfügung steht. Bislang gab es noch keine wissenschaftliche Begutachtung der Methode (Peer Review). Bis zur offiziellen Veröffentlichung kann noch einige Zeit vergehen, möglicherweise müssen die Autor*innen das Manuskript anpassen und / oder erweitern. Da das Thema aufgrund der besorgniserregenden Omikron-Variante derzeit sehr dringlich ist, stellt das MDC es dennoch hier vor.
Exzellente Wissenschaft: Rangliste führt 36 Forschende aus Berlin unter den Top 1 % der Welt
36 Forscherinnen und Forscher an Hochschulen und Forschungsinstituten in Berlin gehören dem diesjährigen Ranking „Highly Cited Researchers“ zufolge zu den weltweit einflussreichsten Vertreterinnen und Vertretern ihres Fachs. Dabei sticht die Berliner Forschung in den Bereichen Medizin und Gesundheit, Umwelt und Klima, sowie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz besonders heraus. In die von Clarivate Analytics veröffentlichte Rangliste werden die Top 1 Prozent der weltweit meistzitierten Publikationen in ihrem jeweiligen Forschungsfeld einbezogen. Die Grundlage dafür bildet die multidisziplinäre Datenbank „Web of Science“, die schwerpunktmäßig Publikationen in den Natur-, Lebens- und Technikwissenschaften abbildet.
Zu den führenden Köpfen in den Lebenswissenschaften zählen neben dem Virologen Prof. Christian Drosten zehn weitere Forschende der Charité–Universitätsmedizin, darüber hinaus die Nobelpreisträgerin Prof. Emmanuelle Charpentier von der Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene, der Begründer der Zellklinik-Initiative Prof. Nikolaus Rajewski vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, oder der aus Harvard nach Berlin zurückgekehrte Prof. Alexander Meissner, Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin-Dahlem. Auch Berliner Nachwuchsstars bescheinigt das Ranking große Resonanz in der Fachwelt, so etwa den Forschungsarbeiten zu Herz-Kreislauferkrankungen von Dr. Sofia Forslund vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, oder den Untersuchungen von Dr. Nadja Kabisch, die an der Humboldt-Universität zu Berlin eine Forschungsgruppe zu Wechselwirkungen von Umwelt und Gesundheit in Städten leitet.
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Insgesamt spiegelt die Rangliste die starke regionale Vernetzung der Berliner Wissenschaftslandschaft wider – etliche der ausgezeichneten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben eine Professur an einer der Berliner Universitäten inne und forschen zugleich an einem außeruniversitären Forschungsinstitut.
Eine hohe internationale Forschungsreputation bescheinigen Berlin regelmäßig auch die vielbeachteten Analysen der Times Higher Education Rankings und der QS World University Rankings. Demnach zählen die Berliner Freie Universität, Humboldt-Universität, Technische Universität und die Charité–Universitätsmedizin zur Spitzengruppe in Deutschland und platzieren sich in vielen Bereichen unter den besten 100 der Welt.
Berlin Science Week: Covid, Austausch, kritisches Denken
Covid-19 und das Herz, Zelldiagnostik der Zukunft und neue Methoden für weniger Tierversuche: zur Berlin Science Week präsentieren MDC-Wissenschaftler*innen Neues aus der Biomedizin. Beim PostDoc Day können sich junge Forschende aus ganz Berlin auf Augenhöhe austauschen.
Vom 1. bis zum 10. November 2021 lädt die Wissensstadt Berlin zur Berlin Science Week ein, dem internationalen Festival für Neugierige jeden Alters. Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin bietet ein vielfältiges Programm, in vielen Fällen gemeinsam mit Partnern. In Wissensshows, Podiumsdiskussionen und Mitmachexperimenten hoffen die MDC-Forschenden auf einen interessanten Austausch mit allen, die in die Welt der Biomedizin eintauchen möchten.
Ein Überblick:
Berlin PostDoc Day 2021 auf dem Campus Buch (mit FMP)
Der Berliner PostDoc Day wird von engagierten PostDocs des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) und des Leibniz-Forschungsinstituts für Molekulare Pharmakologie (FMP) in Berlin organisiert. Es ist eine ideale Gelegenheit für junge Forscher*innen aller Erfahrungsstufen und Fachrichtungen sowie Doktorand*innen im letzten Jahr, ihre Arbeit in Vorträgen oder Postern zu präsentieren, sich kennen zu lernen und ihr Netzwerk zu erweitern. Die besten Vorträge werden prämiert. Neben zu wissenschaftlichen Sessions bietet der PostDoc Day Vorträge von Sponsoren aus der Industrie und Seminare mit Kommunikationsexpert*innen. Die Keynote hält Professor Uri Alon vom Weizmann Institute of Science.
Donnerstag, 4. November von 9:00 bis 18:00 Uhr: Öffentlicher PostDoc Day auf dem Campus Buch, Robert-Rössle-Straße 10, Berlin, MDC.C. Präsenzveranstaltung. Anmeldung erforderlich: https://www.mdc-berlin.de/de/postdoc_day_2021
Panel-Diskussion: Cardiovascular Health in the Time of COVID-19 (mit BIH und Nature)
COVID-19, verursacht durch SARS-CoV-2, hat sich zu einer weltweiten Pandemie entwickelt, die das Leben unzähliger Menschen beeinträchtigt. Das Panel, Berliner Expert*innen mit den Schwerpunkten Immunologie und Herz-Kreislauf, wird drei zentrale Aspekte diskutieren: Wie führen kardiovaskuläre Vorerkrankungen bei einer Infektion zu einem schweren Verlauf und einem erhöhten Sterberisiko? Wie kann COVID-19 selbst zu Komplikationen wie venösen Thrombosen, hohem Blutdruck, akutem Koronarsyndrom, Verletzungen des Herzmuskels und Rhythmusstörungen führen? Und wie können wir alle diese Risiken mit einer Impfung minimieren?
Auf dem Podium:
- Professorin Kathrin de la Rosa, Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité und Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
- Professor Holger Gerhardt, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC), Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité und DZHK (Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung) am Standort Berlin
- Professor Michael Potente, Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité und Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) /
- Professor Leif Erik Sander, Medizinische Klinik für Infektiologie und Pneumologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
- Professorin Birgit Sawitzki, Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité und Institut für Medizinische Immunologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Moderation: Dr. Vesna Todorovic, Nature Cardiovascular Research
Freitag, 5. November, 18:00 bis 20:00 Uhr: Der Link zum Stream wird kurz vorher auf der Programmseite der Berlin Science Week veröffentlicht. Die Veranstaltung findet in Englisch statt.
Neue Methoden für weniger Tierversuche – so forscht Berlin (Einstein-Zentrum 3R)
Einblicke in das neue Einstein-Zentrum 3R: Forschung an Mini-Organen, menschlichem Gewebe oder Multi-Organ-Chips – moderne Technologien versprechen eine Zukunft ohne Tierversuche. Was ist der aktuelle Stand der Forschung? Wie funktionieren diese Methoden und wo liegen ihre Grenzen? Eine Podiumsdiskussion mit kurzen Filmbeiträgen aus den Laboren widmet sich diesen und weiteren Fragen. Erfahren Sie, wie Berlins Wissenschaft daran arbeitet, die Forschung im Sinne von 3R – Replace, Reduce, Refine von Tierversuchen – zu verändern und zu verbessern.
Auf dem Podium erklären Wissenschaftler*innen des neuen Einstein-Zentrum 3R ihre Forschung:
- Professor Michael Gotthardt, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin
- Professor Stefan Hippenstiel, Charité 3R
- Professorin Christa Thöne-Reineke, Freie Universität Berlin
- Professor Jens Kurreck, Technische Universität Berlin
- Professsorin Tanja Schwerdtle, Bundesinstituts für Risikobewertung
Freitag, 5. November 2021, 12:00 bis 13:30 Uhr: Öffentliche Diskussion im Naturkundemuseum, Invalidenstr. 43. Anmeldung unter registration@ec3r.org. Sie haben die Möglichkeit vor der Veranstaltung Fragen an registration@ec3r.org zu senden.
Livestream: Kurz vor Beginn der Veranstaltung wird der Stream auf der Berlin-Science-Week-Website zur Verfügung gestellt.
MDC-Aktionsstand im Museum: Laborolympiade mit Wissenschaftler*innen
Pipettieren, messen, Informationen finden – bei unserer Labor-Olympiade können Sie ausprobieren, wie gut Sie sich für den Laboralltag eignen würden. Natürlich erläutern Ihnen auch MDC-Wissenschaftler*innen, wie sie mit ihren molekularbiologischen Projekten die Medizin der Zukunft prägen wollen: von neuen
Krebstherapien bis hin zur Coronaforschung. Und nicht zuletzt: Ein Labor-Selfie ist inklusive.
Freitag, 5. November – Samstag, 6. November 2021, 10:00 bis 19:30 Uhr, Naturkundemuseum, Invalidenstr. 43, Berlin.
Zelldiagnostik der Zukunft – Labor trifft Lehrer
Damit Organe oder Lebewesen funktionieren können, müssen unzählige Zellen miteinander kommunizieren, sich entwickeln und spezialisieren. Dafür rufen sie immer wieder unterschiedliche Informationen aus dem Erbgut ab. Mit neuen Omics-Technologien wie der Einzelzellanalyse können Forscher*innen im großen Maßstab und präzise beobachten, wie sich Zellen und ihr Zusammenspiel im Verlauf von Krankheiten verändern. Dank dieser Präzision sehen sie dabei selbst seltene Zelltypen wie Stammzellen – die therapeutisch interessant sind. Wer Krankheiten früher diagnostizieren und passgenau behandeln will, muss also auf die zelluläre Ebene schauen. Mit Dr. Patrick Maschmeyer und Dr. Leif Ludwig, MDC.
Mittwoch, 10. November, 16:00 bis 17:30 Uhr: Öffentliche Fortbildung via Zoom | Anmeldung erforderlich: https://www.mdc-berlin.de/form/labor-trifft-lehrer
Weiterführende Informationen
Außerdem ist das MDC an den beiden Wissenshows „Blumen!“ und „Echt oder Fake“ und der Diskussionsveranstaltung „Vielfalt statt Gleichförmigkeit“ von Berlin Research 50 beteiligt. Die MDC-Forscherin Sabrina Yasmin Geisberger erhält den Marthe-Vogt-Preis des Forschungsverbundes Berlin.
Das vollständige Programm des MDC bei der Berlin Science Week.
Quelle: PM des MDC vom 20. 10. 2021
Aktuelles vom MDC Berlin
Der Visionär
Er legt ein altes Buch auf den Tisch, der Einband an den Rändern angeschlagen, die Seiten von Feuchtigkeit und Mikroben mit Stockflecken übersäht. „Cellularpathologie“ steht in feiner Serifenschrift auf der ersten Seite: 20 Vorlesungen, gehalten 1858 von Rudolf Virchow im „pathologischen Institute zu Berlin“. „Virchow hat darin die Theorie aufgestellt, dass man verstehen muss, was in den Zellen vorgeht, wenn sie krank werden, um menschliche Krankheiten heilen zu können“, sagt Professor Nikolaus Rajewsky.
Der Direktor des Berliner Instituts für Medizinische Systembiologie (BIMSB) des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) setzt sich an seinen Schreibtisch, überschlägt die Beine, streicht sich über den Hinterkopf und erzählt von seinen Ideen für die Medizin von Morgen, mit ruhiger Stimme und entschlossenem Blick. Hinter ihm hängt eine Urkunde der Ehrendoktorwürde der römischen Universität La Sapienza. Auf der Verleihung hat er Rachmaninows Suiten für zwei Klaviere gespielt. Rajewksy, der Pianist. „Wir haben jetzt die technischen Möglichkeiten, Virchows Traum Wirklichkeit werden zu lassen“, sagt er. „Auf einen Schlag können wir hunderttausende Zellen digitalisieren und erkennen, wie sie sich entwickeln und auf Nachbarzellen oder die Umwelt reagieren. Das wird die Medizin revolutionieren.“ Rajewsky, der Visionär.
Brückenschlag zwischen Labor und Klinik
Trotz der rasanten Fortschritte in der biomedizinischen Forschung finden neue Erkenntnisse nicht immer den Weg in die klinische Praxis, wo sie zu einer besseren Diagnostik oder zu neuen und besseren Behandlungen beitragen würden. Die Überwindung dieser Kluft, die als „Tal des Todes“ bekannt ist, ist aber der Schlüssel, um globaler Gesundheitsprobleme wie Diabetes, Alzheimer und Krebs anzugehen.
Forschende Kliniker*innen – also Ärzt*innen mit einem PhD in biomedizinischer Forschung – kennen diese Probleme aus ihrer täglichen Arbeit, bringen aber auch wissenschaftliche Expertise und akademische Erfahrung mit. So sind sie in einer einzigartigen Position für einen Brückenschlag und können abschätzen, wo innovative Forschung am dringendsten nötig ist und wie man das Wissen am besten zum Nutzen der Patient*innen erweitern kann.
„Wir brauchen dringend Wissenschaftler*innen mit medizinischem Hintergrund. Sie spielen eine entscheidende Rolle dabei, Fortschritte in den Feldern Omics, Big Data, künstliche Intelligenz oder hochauflösende Mikroskopie so anzuwenden, dass die Patient*innen im 21. Jahrhundert bestmöglich versorgt werden können“, sagt Dr. Michela Bertero, Leiterin der Abteilung für internationale und wissenschaftliche Angelegenheiten am Centre for Genomic Regulation (CRG), das das Ausbildungsprogramm koordiniert. „Die Gesundheitssysteme in Europa sind jedoch fragmentiert. Das bedeutet, dass solche Programme für Doktorand*innen in Europa jeweils isoliert entwickelt wurden und es oft an Zusammenarbeit und grenzüberschreitender Mobilität mangelte.“
Lesen Sie bitte hier die gesamte PM des MDC
Wenn im Tumor das Licht angeht
Für seine Krebsforschung wird MDC-Doktorand Matthias Jürgen Schmitt mit dem Curt-Meyer-Gedächtnispreis der Berliner Krebsgesellschaft ausgezeichnet. Mit Hilfe „molekularer Reporter“ untersucht er, wie das Glioblastom – der tödlichste Gehirntumor überhaupt – resistent gegen Therapien werden kann.
Der mit 10.000 Euro dotierte Curt-Meyer-Gedächtnispreis der Berliner Krebsgesellschaft erinnert an Senatsrat Dr. Curt Meyer (1891-1984), der sich als Arzt und Gesundheitspolitiker zeitlebens für die Aufklärung, Vorsorge und Bekämpfung von Krebs eingesetzt hat. In diesem Jahr geht er an Matthias Jürgen Schmitt vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC). Die Preisverleihung findet am 1. Oktober 2021 im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie in Berlin statt.
„Zwar geht der Preis nominell an mich, aber es ist der Erfolg unseres ganzen Teams. Und es freut uns riesig, dass die Jury unsere Arbeit gewürdigt hat, in die wir viel Energie – und teilweise auch Frustrationen – gesteckt haben“, sagt Matthias Schmitt. „Auch in Hinblick darauf, dass die meisten Preisträger*innen in ihrer wissenschaftlichen Karriere viel weiter waren, sind wir stolz darauf, dass unser junges Labor ausgezeichnet wurde.“
Lesen Sie bitte hier die gesamte PM des MDC
Neues aus dem MDC
Johanna Quandt-Professur für Kathrin de la Rosa
Die Stiftung Charité und das Berlin Institute of Health in der Charité setzen ihr Format zur Gewinnung herausragender Wissenschaftlerinnen fort. Zu den vier neuen Johanna Quandt-Professorinnen gehört MDC-Forscherin Kathrin de la Rosa. Die Immunologin wird hier weiterhin ihre Arbeitsgruppe leiten.
Die Stiftung Charité und das Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) richten bereits zum zweiten Mal eine Reihe von neuen BIH Johanna Quandt-Professuren in Berlin ein. Die Professuren wurden weltweit ausgeschrieben und nachgefragt. Das Besondere an der internationalen Ausschreibung bestand darin, dass sie neben dem Aspekt der besonderen Förderung von Frauen themenoffen vorgenommen wurde. Interessentinnen waren aufgefordert, sich mit einem innovativen Konzept für ihre eigene Professur in Berlin zu bewerben. „Der Open Topic-Ansatz der Johanna Quandt-Professuren verzichtet auf eine fachliche Eingrenzung und ermöglicht auf diese Weise einen echten Wettbewerb um die besten Ideen und aussichtsreichsten Forschungsansätze“, resümiert Dr. Jörg Appelhans, Vorstand der Stiftung Charité, den Auswahlprozess. Durch das Zusammenwirken der privaten Stiftung Charité und des öffentlich finanzierten Berlin Institute of Health werden in den ersten fünf Jahren für jede der neuen Professuren bis zu drei Millionen Euro zur Verfügung gestellt. „Die gemeinsame Initiative mit der Stiftung Charité erlaubt uns eine Ausstattung der Professuren, die auch Kandidatinnen von Top-Universitäten, etwa in den USA und Kanada, angezogen hat“, sagt Professor Dr. Christopher Baum, BIH-Direktoriumsvorsitzender und Vorstand des Translationsforschungsbereichs der Charité – Universitätsmedizin Medizin.
Kooperation von Charité und MDC
Die Nachhaltigkeit der Professuren wird dadurch sichergestellt, dass allen Professorinnen ein verbindliches Verstetigungsangebot unterbreitet wurde. Um die entsprechenden Langfristperspektiven zu verwirklichen, arbeiten die Charité – Universitätsmedizin Medizin und das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) bei den Berufungen eng zusammen.
Hier lesen Sie die gesamte PM des MDC vom 31. August 2021
Ein Zellatlas für Kinderherzen
Nach Einzelzelluntersuchungen am Herzen Erwachsener fördert die Chan Zuckerberg Initiative nun auch den Aufbau eines Zellatlas von Kinderherzen. Zu den geförderten Netzwerken gehört erneut ein internationales Team um Christine Seidman von der Harvard University und Norbert Hübner vom MDC.
Angeborene Herzfehler, Herzmuskelentzündungen oder -veränderungen sind eine der Ursachen von Todesfällen im Kindesalter. Das Wissen über die molekularen Mechanismen in Herzkrankheiten in jungen Jahren ist jedoch noch sehr begrenzt, da es kaum Referenzdaten für die normale postnatale Herzentwicklung bei gesunden Kindern gibt. Diese Lücke sollen jetzt Einzelzelluntersuchungen an gesundem Herzgewebe von Säuglingen und Teenagern schließen. Die Chan Zuckerberg Initiative (CZI) fördert das internationale Kooperationsprojekt von Forscher*innen und Kinderärzt*innen mit insgesamt 33 Millionen Dollar. Davon fließen 1,75 Millionen Dollar an das Team um Professor Christine Seidman von der Harvard Medical School (HMS) in Boston und um Professor Norbert Hübner am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) in Berlin.
Lesen Sie bitte hier die gesamte PM vom 30. 08. 2021
Ultrahochfeld-Magnetresonanz trifft KI
Neue Feldstärken von bis zu 10,5 Tesla ermöglichen Magnetresonanz-Aufnahmen in nie dagewesener Detailschärfe. Welche Chancen ergeben sich daraus für die Herz-, Neuro- und experimentelle Medizin? Darüber diskutieren Forscher*innen beim Ultrahochfeld-Magnetresonanz-Meeting des MDC am 2. und 3. September 2021.
Im klinischen Alltag ist die 1,5 Tesla Magnetresonanztomographie (MRT) längst Standard. Etwa jedes fünfte größere Krankenhaus verfügt bereits über ein 3 Tesla-Gerät. „Erst wenige Herz-Scans werden schon mit Magnetfeldstärken von 7 Tesla durchgeführt“, sagt Professor Thoralf Niendorf, Organisator des virtuellen Symposiums und Experte für Ultrahochfeld-Magnetresonanz (UHF-MR) am MDC. Doch die Entwicklung geht weiter. „Mit konzeptionellen Überlegungen zur grundsätzlichen Machbarkeit von Herz-MRTs bei 10,5 und 14 Tesla stoßen wir nun die Tür zur nächsten MRT-Generation auf.“
Größenveränderung der Niere früher erkennen
Um das Plus an Informationen diagnostisch nutzen zu können, ist eine hochpräzise Bilderkennung notwendig. Hier kommt die Künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel. Denn erst in der Symbiose mit KI, maschinellem Lernen und Deep Learning lässt sich das Potenzial der UHF-MR voll ausschöpfen: eine bis dato unerreichte Detailschärfe anatomischer und funktioneller Bilder. Beim Sprung von 1,5 zu 10,5 Tesla erhöht sich die Bildauflösung um den Faktor 10. „Dies bedeutet eine Auflösung von 100 Mikrometern – in vivo!“, schwärmt Thoralf Niendorf. „Wir erhalten Live-MRT-Bilder, in die man fast wie mit einem Mikroskop hineinzoomen kann.“
„Medizinisch interessant wird damit auch die automatische Bestimmung von Organgrößen, etwa der Niere, sowie deren zeitliche Veränderung“, erzählt Niendorf. Pathophysiologische Reize, die in klinischen Szenarien auftreten – beispielsweise Sauerstoffmangel, eine Verengung der Nierenvene oder -arterie oder der Einfluss von Röntgenkontrastmitteln – führen häufig zu akutem Nierenversagen. Meist wird dies zu spät erkannt. Einzige Anhaltspunkte sind bislang bestimmte Marker im Urin. Mithilfe der UHF-MR könnte die Größenveränderung des sensiblen Organs – diese liegt im Bereich von zwei bis sieben Prozent – frühzeitig erkannt, Nierenschäden bei den Patient*innen durch rasche Intervention verhindert werden. Im Mausmodell funktioniert das bereits.
Highlights des Symposiums
„Zu den Highlights des Symposiums zählt für mich der Vortrag von Bilguun Nurzed aus meinem Team zu Antennenkonzepten für die Cardio-MRT“, sagt Niendorf. Die Antennen (Detektoren) sind neben dem Magneten die wichtigste Komponente eines MRT. Denn über sie werden die Signale erzeugt und empfangen, die später die Bilder ergeben. Bei Feldstärken von 10,5 und mehr Tesla reicht die herkömmliche Antennentechnik nicht mehr aus.
Im Bereich Neuro-MRT ist Niendorf gespannt auf den Vortrag von Professor Kamil Uurbil vom Center for Magnetic Resonanz Research (CMRR) in Minneapolis, wo bereits erste Erfahrungen mit Hirn-Scans bei 10,5 Tesla am Menschen gesammelt werden. Kliniker erhoffen sich eine viel präzisere Diagnostik von Multipler Sklerose und Demenz – und dies nicht-invasiv und in vivo. Grundlagenforscher*innen erwarten wichtige neue Erkenntnisse über die Vernetzung der Hirnregionen und die Funktionsweise des Gehirns.
Verdauungsvorgänge in Echtzeit beobachten
Noch rein experimentell ist die Nutzung von UHF-MR zur Untersuchung von Stoffwechselvorgängen, worüber Professor Lucio Frydman vom Weizmann-Institut berichten wird. Als Signalgeber wird dabei nicht die Dichte von Protonen, sondern von Deuterium, einem Wasserstoff-Isotop, im Gewebe ausgenutzt. Frydmans Team injiziert Mäusen deuterierte Glukose und verfolgt, wie diese im Körper der Nager verdaut wird.
Nichts geht mehr ohne KI
„Die Synergien zwischen UHF-MR und KI ziehen sich wie ein roter Faden durch fast jeden Vortrag des Meetings. Damit läuten wir zugleich auch die thematische Neuausrichtung unseres jährlichen Symposiums ein“, betont Niendorf. Die Keynote Lectures von Dr. Kyle Harrington (MDC) und Professor Christoph Lippert (Hasso-Plattner-Institut) unterstreichen dies. So spricht Christoph Lippert darüber, wie maschinelles Lernen die Diagnostik bestimmter Erkrankungen verfeinert, so dass Mediziner*innen deutlich früher als bisher in das Krankheitsgeschehen eingreifen können.
„Das Meeting versteht sich als Plattform für Nachwuchswissenschaftler*innen und steht gebührenfrei jedem offen: von Grundlagenwissenschaftler*innen, Anwendungsexpert*innen, Ingenieur*innen über translational Forschenden bis zu Studierenden und Auszubildenden“, betont Thoralf Niendorf. Die Vorträge werden in verschiedenen Zeitfenstern stattfinden, damit Interessierte aus unterschiedlichen Zeitzonen teilnehmen können.
Wie ein Taucher in der Tiefsee
Als „Tauchgang ins Ungewisse“ beschreibt Dr. Misha Kudryashev seine Anfänge in der Biophysik. Vor 16 Jahren hat er seine Heimat Russland hinter sich gelassen, um das Fachgebiet von Deutschland aus zu erobern. Mittlerweile ist er in der Biophysik wie auch in Deutschland voll angekommen. Seit dem 1. August baut der 38-Jährige am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) eine Forschungsgruppe „In situ Strukturbiologie“ auf.
Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Strukturbiologie von Membranproteinkomplexen. Das sind Proteine, die in die Lipidschicht von Zellmembranen eingebettet sind und eine wichtige Rolle im Leben der Zellen spielen. Einer ihrer Aufgaben besteht in der Aktivierung von Ionenkanälen, die die Erregungsleitung in den Nerven- und Muskelzellen steuern. „Ich will verstehen, wie diese Membranproteine strukturiert sind und wie sie reguliert werden“, sagt Kudryashev. „Ihre Steuerungsmechanismen sind für die Entwicklung von Medikamenten sehr interessant. Wirkstoffe, die bestimmte Proteine an- oder ausschalten können, können Krankheiten heilen oder die Lebensqualität verbessern.“
Kryo-EM liefert außergewöhnlich hohe Auflösung
Um in die verborgene Welt der Proteine, ihrer Struktur und ihrer Mechanismen einzutauchen, nutzt Kudryashev moderne bildgebende Verfahren wie die Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) und die Kryo-Elektronentomographie (Kryo-TM). Damit ist es möglich, Zellen oder ihre einzelnen Bestandteile in ihrem natürlichen Zustand und in ihrer zellulären Umgebung – in situ – zu betrachten. Bei der Kryo-EM werden gereinigte Proteine oder ganze Zellen blitzschnell eingefroren. Ein Elektronenstrahl durchdringt die Probe, die von einer dünnen Schicht aus glasartigem, nicht kristallinem Eis umhüllt ist. Dabei entstehen Transmissionsbilder, die aufgenommen werden. Aus mehreren zweidimensionalen Aufnahmen einer Probe errechnet eine Software eine exakte dreidimensionale Abbildung – ein Tomogramm. Solche Tomogramme liefern Informationen über die Interaktion von Molekülen innerhalb von Zellen und über die Struktur von Proteinen „in situ“, also in ihrer natürlichen Umgebung. Kudryashevs Team entwickelt Algorithmen für diesen technisch sehr anspruchsvollen Prozess, um die höchstmögliche Auflösung zu erreichen.
Für diese Arbeit findet Misha Kudryashev am Forschungscampus in Buch eine hervorragende Infrastruktur vor. Im März dieses Jahres hat die Kryo-EM Core Facility der Charité – Universitätsmedizin Berlin in Zusammenarbeit mit dem MDC und dem Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) ihren Betrieb aufgenommen. Kudryashev schwärmt von der Top-Ausstattung und dem Kryo-Team: „Die Leute wissen, was sie tun. Ich freue mich wirklich sehr auf die Zusammenarbeit.“
„Irgendwas mit Computern“
Zur Biophysik ist Misha Kudryashev beinahe zufällig gekommen – tatsächlich wie ein Taucher, der in die Tiefe schwimmt, ohne zu wissen, was ihn dort erwartet. Dort aber etwas findet, das allem Weiteren in seinem Leben die Richtung vorgibt. Eigentlich wollte er Mathematik studieren, schaffte aber die Aufnahmeprüfung nicht. Weil er „irgendwas mit Computern“ machen wollte und in der Physik viele Daten anfallen, entschied er sich, an der Universität von Krasnojarsk in Sibirien Physik zu studieren. Nebenher arbeitete er als Nachwuchsforscher am Institut für rechnergestütztes Modellieren, wo er für seine Diplomarbeit Proteinsequenzen analysierte. 2001 war gerade das menschliche Genom entschlüsselt worden. „Ich war fasziniert von den großen Datenmengen, die bei der Proteinsequenzierung anfallen, und davon, die Struktur von Proteinen anhand ihrer Sequenzen vorhersagen zu können“, erinnert er sich. 2005 schloss er mit Auszeichnung ab.
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